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Über Visionen, Egozentriker und warum wir uns mit Veränderung oftmals so schwer tun…

Interview mit Julian Heike und Martin Tittes

Der Coach und Autor Martin Tittes war rund 20 Jahre im Manager-Hamsterrad, bis er erkannte, dass die nächste Sprosse vor ihm nicht automatisch nach oben und zum nächsten Ziel führt. Im April erschien sein Buch: Das magische Quadrat – Wie Sie bekommen, was Sie wirklich wollen. Julian Heike, Redakteur der Echinger Rundschau sprach mit dem Echinger über notwendige Veränderungen im Leben, Perspektivenwechsel und warum wir uns oftmals so schwer damit tun.

Echinger Rundschau: Sie waren zuletzt als Manager in einem internationalen Konzern tätig. Dabei hatten Sie sicherlich eine große Verantwortung, viele Projekte und ein entsprechend gutes Einkommen. Warum haben Sie Ihr Leben schlagartig so verändert?
Martin Tittes: Augenscheinlich hatte ich als Manager – zumindest beruflich gesehen – ein erfülltes Leben. Jedoch stecken in dieser Formulierung zwei entscheidende Wörter: augenscheinlich und beruflich. Was meine ich damit genau? Nun, zunächst habe ich ja über viele Jahre genau darauf hingearbeitet, dass ich Erfolg im Beruf habe. Jedes Mal, wenn ich wieder einen Schritt weitergekommen bin, habe ich lediglich für mich gedanklich einen Haken gemacht und mich sofort auf das nächste Ziel gestürzt. Dabei habe ich ausschließlich nach dem „Wenn – dann“-Prinzip gelebt: Wenn ich Ziel x erreicht habe, dann gönne ich mir etwas … Das Problem war nur: das „Wenn“ habe ich immer erreicht, für das „Dann“ gab es immer irgendwelche Ausreden. Letztlich scheiterte in dieser Zeit auch meine erste Ehe und ich erlebte einen ziemlichen gesundheitlichen Dämpfer. Das waren auch entscheidende Einflüsse, warum ich begonnen habe, mich sehr intensiv mit den Themen Persönlichkeitsentwicklung und den menschlichen Verhaltensmustern zu beschäftigen.

Echinger Rundschau: Sie haben also durch diese Erlebnisse einen neuen Sinn im Leben entdeckt?
Martin Tittes: Noch nicht ganz. Leider neigen wir Menschen in unserem Verhaltensmuster tendenziell dazu, negative Erlebnisse erstmal „wegzustecken“. Das ist grundsätzlich auch gut so, denn sonst würden wir oftmals bei unseren Vorhaben viel zu schnell aufgeben. Aber wenn man merkt, dass man dauerhaft nicht mehr wirklich glücklich ist, dann ist es an der Zeit, etwas zu ändern. Dafür sind jedoch zwei entscheidende Punkte wichtig: Ehrlichkeit zu sich selbst und die Bereitschaft, die eigene Komfortzone auch zu verlassen. Das mag im ersten Moment vielleicht etwas banal klingen, es ist aber tatsächlich ein Entwicklungsprozess. Ich begann mich wieder auf die Themen zu konzentrieren, die mir Spaß machten und mich erfüllen. Daraus entstanden erste Ideen und schließlich meine neue persönliche Vision. Ich begann, mein Buch zu schreiben und machte mich schließlich als Coach selbstständig. Heute begleite und unterstütze ich Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, wie ich es war. Das ist für mich eine tolle Arbeit.

Echinger Rundschau: Apropos Vision. Für vielen Menschen sind Visionen ja eher etwas Abstraktes oder sogar Spirituelles. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Martin Tittes: Ja, diese Ansicht höre ich öfter in diesem Zusammenhang. Wahrscheinlich hängt es mit der ursprünglichen Definition zusammen. Visionen werden mit einer übernatürlichen Erscheinung aus einer religiösen Erfahrung oder auch mit optischen Halluzinationen verbunden. Mittlerweile hat die Vision an neuer Bedeutung gewonnen. Nehmen wir als Beispiele folgende Personen: Steve Jobs (Gründer von Apple), Jeff Bezos (Gründer von Amazon), Bill Gates (Gründer von Microsoft) oder auch Sheryl Sandberg (COO bei Facebook und setzt sich stark für die Frauenbewegung ein). Sie alle waren bzw. sind Visionäre. Sie haben klein angefangen, mit einer Idee im Kopf, die schließlich zu einer Vision wurde. Mit Leidenschaft, Durchhaltevermögen und Überzeugungskraft haben sie in einem
überschaubaren Zeitraum einige der wertvollsten Unternehmen der Welt erschaffen bzw. geführt. Ist
das etwas Abstraktes oder Spirituelles? Ich sehe sehr konkrete Werte und Ergebnisse. Welcher
Visionär in Deutschland fällt uns in diesem Zusammenhang spontan ein? Da wird die Antwort – auch
mit nur einem Namen – schon schwierig. Einfach ausgedrückt ist eine Vision ein positives Bild von
einer Situation in der Zukunft. Richtig definiert und eingesetzt gibt eine Vision Orientierung und steht
für bestimmte Werte. Interessanterweise tun wir uns Deutschland damit ziemlich schwer – das
erlebe ich permanent in meiner Praxis als Coach.

Echinger Rundschau: Aber die Namen, die Sie gerade genannt haben, sind ja nicht unumstritten. Oft
werden diese Personen als narzisstisch und egozentrisch beschrieben.
Martin Tittes: Absolut. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Meine Beispiele waren alle aus der Wirtschaft.
Und ja, wer für sein Ego die Vision hat, als Weltmarktführer zu agieren, ist mit seinen Methoden und
auch mit seinem Führungsstil per se nicht unumstritten. Unabhängig von ihrem sehr stark
ausgeprägten Ego schaffen diese Personen aber eine große Anzahl von Arbeitsplätzen, sie erleichtern
mit ihren Produkten und Lösungen unser Leben und viele spenden sehr viel Geld für gemeinnützige
oder karitative Organisationen. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass eine Vision sehr viel Kraft und
Energie hat um Großes zu erreichen – es muss ja nicht immer gleich ein globales
Milliardenunternehmen sein. Mir persönlich sind Visionäre mit Ecken und Kanten lieber als
Egozentriker ohne Visionen. Oder auch Menschen, die sich nur auf ihren eigenen Vorteil
konzentrieren, andere Meinungen nicht akzeptieren oder respektieren.

Echinger Rundschau: Wie meinen Sie das genau – können Sie dazu Beispiele nennen?
Martin Tittes: Nehmen wir die Entwicklung von „Hate-Speech“, ob on- oder offline. Ein Beispiel sind
hier öffentliche Aggressionen auf Demonstrationen gegenüber Menschen, die anderer Meinung sind.
Ein sachlicher Austausch von Argumenten ist hier kaum oder überhaupt nicht mehr möglich.
Entweder man teilt einwandfrei die Meinung mit der Gruppe, oder man ist quasi der Feind.
Dazwischen gibt es gefühlt immer weniger Toleranzbereiche. Sogenannte Meinungsmacher stellen
sogar Behauptungen auf, die faktisch überhaupt nicht belegt sind, um Menschen um sich zu scharen
und zu überzeugen. Aufgrund der Informationsflut, die uns heute zur Verfügung steht, wird es dabei
immer schwieriger herauszufinden, was davon wahr oder falsch ist. Man befindet sich in einem
Strudel an Aussagen, die man nicht mehr zuordnen kann. Deshalb verfällt man in eine Blockade und
lässt überhaupt nicht mehr mit sich reden. Ich kenne diesen psychologischen Effekt auch aus meinen
Aktivitäten als Coach, etwa wenn ich in einem Unternehmen tätig werde, um einen scheinbar
„unlösbaren“ Konflikt zu lösen. Aufgrund der Emotionen wird entweder nicht mehr miteinander
gesprochen oder eben nur noch sehr emotional ablehnend. Hier ist es wichtig, mit den Parteien
erstmal wieder einen gemeinsamen Nenner auf der sachlichen Ebene zu finden. Dann kann auch
schrittweise wieder eine vernünftige Diskussion aufgebaut werden.

Echinger Rundschau: Benötigen wir Ihrer Ansicht nach auch Visionen in unserem alltäglichen Leben,
auch wenn wir keine großen Unternehmer sind?
Martin Tittes: Ich weiß, normalerweise beantwortet man eine Frage nicht mit einer Gegenfrage –
aber Hand aufs Herz und vielleicht etwas übergeordneter gedacht: Welche Vision haben wir von,
beziehungsweise über Deutschland? Welche/r Politiker:in – egal von welcher Partei – hat uns in der
letzten Zeit eine glaubhafte und vernünftige Vision vermitteln können? Schauen wir uns die
Pandemie an. Corona hat uns auf dem gesamten Erdball kalt erwischt. Für so eine Situation hatten
wir noch keine Erfahrung – von einer Lösung brauchen wir erst gar nicht zu reden. Was ich mir
gewünscht hätte? Eine überparteiliche Einigkeit möglichst mit einer gemeinsamen Vision, dass wir als
Land – und damit wiederum jeder einzelne Bürger miteingeschlossen – sicher durch diese Krise
kommen. Leider gab es in der Praxis viele Unstimmigkeiten, schnell etablierte Lösungen, die genauso
schnell wieder verworfen wurden und jede Menge Kritik, die uns keinen Schritt weitergebracht hat. Das Ergebnis: Unsicherheit, Orientierungslosigkeit bis hin zu wütenden Bürgern. Überraschend? Aber lassen Sie uns gern auch über unsere Heimat sprechen, denn selbstverständlich interessiere ich mich als Echinger auch für das lokale Geschehen. Es ist für einen normalen, nicht politisch-aktiven Bürger wie mich schwer zu verstehen, über welche Themen und Aufgaben hier diskutiert wird. Wir haben Wasserknappheit in Europa, eine massiv steigende Inflationsrate, explodierende Energiekosten und einen tobenden Krieg im Osten Europas. Ist es da wirklich zielführend und auch „bürgernah“, wenn wir in diesen Zeiten eine Genderdebatte über einen Straßennamen führen? Ja, ich bin der Meinung ein Umdenken ist an sehr vielen Stellen nötig.

Echinger Rundschau: Wie sieht dann in der Praxis Ihre Aufgabe als Coach aus? Und für wen ist die Zusammenarbeit mit einem Coach gedacht?
Martin Tittes: Ähnlich wie bei dem Thema Vision ist es auch in der Zusammenarbeit mit einem Coach: während in anderen Ländern die gemeinsame Arbeit mit einem Mentor vollkommen normal ist, unabhängig ob beruflich oder privat, arbeiten in Deutschland fast nur erfolgreiche Manager oder Sportler mit einem Coach. Das finde ich schade, denn ein Coach ist wie ein persönlicher Sparringspartner. Ich werde normalerweise kontaktiert, wenn es in einer bestimmten Situation nicht weiter geht und auf den ersten Blick keine Lösung in Sicht ist. Das kann in einem Unternehmen sein, wenn es z.B. bei geplanten Veränderungen nicht vorwärts geht oder in Konfliktsituationen. Ich arbeite auch mit Privatpersonen, die gerade eine wichtige Entscheidung in ihrem Leben treffen und sich diesbezüglich noch unsicher sind. Immer dann, wenn es um eine Weiterentwicklung geht, ist die Unterstützung von einem professionellen Coach nützlich. Der Vorteil ist, dass ich emotional nicht im Thema stecke, sondern die Situation sachlich mit meinen Kunden analysieren kann. Das ist auch der wesentliche Unterschied zu einem Seminar oder Training. Ich vermittle als Coach kein Wissen über ein bestimmtes Thema vor einer Gruppe, sondern wir konzentrieren uns ausschließlich auf die individuelle Aufgabenstellung. Das ist eine sehr intensive Zusammenarbeit – und damit auch gleichzeitig sehr effektiv und zielführend. Ich biete in diesem Zusammenhang auch immer ein kostenloses Erstgespräch an, denn Offenheit und Verstrauen ist beim Coaching sehr wichtig.

Echinger Rundschau: Klingt ja spannend. Zum Schluss nochmals eine persönliche Frage. Wie sieht denn Ihre Vision aus?
Martin Tittes: Meine Frau und ich planen gerade die Gründung unserer gemeinsamen Firma. In diesem Projekt steckt unsere gemeinsame Vision und viele unserer Werte. Ich möchte noch nicht über die berühmten ungelegten Eier sprechen, aber so wie es im Augenblick aussieht, wird sich unser Leben voraussichtlich ab November ziemlich drastisch verändern. Darauf freuen wir uns sehr. Vielleicht haben wir ja die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt nochmals darüber zu sprechen.

Echinger Rundschau: Da bin ich neugierig. Auf jeden Fall vielen Dank für das interessante und persönliche Interview mit Ihnen. Und für unsere Leser der Echinger Rundschau habe ich noch einen Deal mit Ihnen ausgehandelt. Sie stellen 50 handsignierte Bücher „Das magische Quadrat – Wie Sie bekommen, was Sie wirklich wollen“ zum Sonderpreis von 14,– € anstelle von 19,95 € zur Verfügung. Schicken Sie dazu einfach eine Mail mit dem Betreff „Echinger Rundschau“ an info@martintittes.de. Nennen Sie bitte auch die Rechnungsadresse in der Mail.
Martin Tittes: Vielen Dank, Herr Heike. Hat Spaß gemacht. Ich freue mich, wenn die Leser Interesse an meinem Buch haben und mehr aus ihrem Leben machen wollen. Vielleicht lerne ich den einen oder anderen auch persönlich kennen.