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Die bayerische Wappenhoheit als „juristische Brandmauer“ – Historische Lehren und die Grenzen des staatlichen Schutzkonzepts im digitalen Zeitalter
Ein wissenschaftlicher Essay von einem Echinger Bürger mit Migrationshintergrund
Die Debatte um den Umgang mit historisch gewachsenen, aber heute als problematisch empfundenen Symbolen ist ein zentrales Merkmal postmoderner Gesellschaften. In der bayerischen Gemeinde Eching manifestiert sich dieser Diskurs exemplarisch am Wappen, das den Heiligen Mauritius zeigt. Während Kritiker die Darstellung als rassistisch empfinden, verteidigen Befürworter sie als wertvolles historisches Erbe. Die Reaktion der Gemeindeführung – die faktische Verbannung des Wappens von der prominenten Position der Gemeinde-Homepage – beleuchtet die Funktionsweise und die Grenzen des bayerischen Wappenrechts. Dieses Recht ist nicht nur ein Verwaltungsakt, sondern ein bewusst geschaffener Schutzmechanismus, dessen Wurzeln tief in der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts liegen.
Das bayerische Wappenrecht als historisch-normatives Schutzkonzept
Die Annahme und Änderung kommunaler Hoheitszeichen in Bayern ist in Artikel 4 der Gemeindeordnung (GO)¹ geregelt. Das Verfahren ist bewusst mehrstufig und restriktiv gestaltet. Es verlangt neben dem politischen Willen der Gemeinde eine zwingende fachliche Prüfung durch die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns² sowie eine finale staatliche Genehmigung. Dieses komplexe Prozedere ist eine direkte Konsequenz aus der Erfahrung mit der Willkür des Nationalsozialismus.
Das prominenteste Beispiel für die ideologische Instrumentalisierung der Heraldik ist der Fall der Stadt Coburg. 1934 wurde dort auf Betreiben des fanatischen nationalsozialistischen Oberbürgermeisters Franz Schwede das traditionelle Wappen mit dem Heiligen Mauritius abgeschafft. Schwede bezeichnete den Schwarzen Heiligen als „Schandfleck“. An seine Stelle trat ein Wappen, dessen Entwurf auf Adolf Hitler persönlich zurückgehen soll: ein „SA-Dolch“ auf einem Hakenkreuz.³ Dieser Akt war die symbolische Auslöschung eines christlich-universellen Symbols zugunsten der Ästhetik des Terrors und der Rassenideologie.

Als Reaktion darauf wurde nach 1945 ein Wappenrecht geschaffen, das als „juristische Brandmauer“ fungieren sollte. Die Intention des Gesetzgebers, die in der maßgeblichen juristischen Kommentarliteratur⁴ und den grundlegenden wissenschaftlichen Aufsätzen der Nachkriegszeit⁵ dargelegt wird, war eindeutig: Die kommunale Heraldik sollte auf eine wissenschaftliche, unpolitische Grundlage gestellt und die „geschichtliche Grundlage des Wappens“ vor jeder Form der ideologischen Beeinträchtigung geschützt werden. Die Staatlichen Archive wurden als unpolitische, fachliche Kontrollinstanz etabliert, um die historische Kontinuität zu wahren.
Die Grenzen des Schutzkonzepts im digitalen Raum: Der Fall Eching
Die aktuelle Auseinandersetzung in Eching demonstriert die Wirksamkeit, aber auch die Grenzen dieses Schutzkonzepts. Eine formale Abschaffung des Wappens ist für die politische Mehrheit aufgrund der hohen rechtlichen Hürden de facto unmöglich. Der Sicherungsmechanismus greift und verhindert eine rechtliche Änderung auf Basis einer politisch-moralischen Neubewertung.
Die Reaktion der Gemeinde ist jedoch eine Umgehungsstrategie, die dem digitalen Zeitalter entspricht: Das Wappen wird rechtlich nicht angetastet, aber faktisch aus dem primären Sichtfeld der digitalen Öffentlichkeit entfernt. Es wird auf der Gemeinde-Homepage durch ein modernes Logo ersetzt und in den Fußbereich der Seite verbannt. Diese „Verbannung ins Kleingedruckte“ ist ein symbolischer Akt, der die Intention des Gesetzgebers unterläuft, ohne dessen Buchstaben zu verletzen.
Analyse und Ausblick: Ein Paradoxon der Debattenkultur
Hier offenbart sich ein bemerkenswertes Paradoxon: Eine juristische Brandmauer, die explizit als Reaktion auf die Rassenideologie der Nationalsozialisten errichtet wurde, entfaltet ihre hemmende Wirkung nun gegenüber einer Forderung, die sich selbst als antirassistisch versteht. Dies wirft eine beunruhigende Frage zur heutigen Debattenkultur auf und zeigt, dass der Schutzmechanismus nicht zwischen den Motiven einer Ideologie unterscheidet, sondern die historische Substanz vor jeder Form der kurzfristigen Umdeutung bewahrt.
Die digitale Verbannung bleibt jedoch ein prekäres Instrument. Im Gegensatz zur auf Dauer angelegten rechtlichen Änderung eines Wappens ist die Gestaltung einer Webseite volatil und direkt an die sie tragende politische Mehrheit gebunden. Die Sichtbarkeit des Wappens könnte sich mit der nächsten Kommunalwahl 2026 und einer möglichen Abwahl des Bürgermeisters über Nacht ändern.
Somit wird ein jahrhundertealtes, hoheitliches Symbol, das eigentlich über der Tagespolitik stehen sollte, zum Gegenstand des lokalen Wahlkampfes. Die finale Entscheidung über seine Präsenz im öffentlichen Bewusstsein wird dann nicht von Historikern oder Heraldikern getroffen, sondern an der Wahlurne.
Fußnoten (Quellenverweise)
¹ Bayerische Gemeindeordnung (GO), Artikel 4: „Die Gemeinden können Wappen und Fahnen führen. Die Annahme von Wappen und Fahnen bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration.“
Link:
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayGO-4
² Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Abteilung Heraldik: Zuständige Fachbehörde für die Prüfung und Begutachtung kommunaler Hoheitszeichen in Bayern.
Link:
https://www.gda.bayern.de/service/heraldik-siegel-und-wappen/
³ NS-Dokumentationszentrum Köln, Ausstellung „Der ‚gute‘ und der ‚böse‘ Mohr“ (2002): Diese Ausstellung dokumentierte den Fall Coburg und den persönlichen Bezug Hitlers zum neuen Wappenentwurf.
Link zur Ausstellungsbeschreibung (archiviert): https://web.archive.org/web/20091015070814/http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0211_schwarze/aus_00.asp
⁴ Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern: Juristischer Standardkommentar zur Bayerischen Gemeindeordnung. Die Kommentierung zu Art. 4 GO erläutert die historische Entwicklung und die Notwendigkeit des Genehmigungsverfahrens.
Link zum Verlag: (Bezahlschranke)
https://www.kommunal-und-schul-verlag.de/produkte/prandl-zimmermann-buechner-pahlke-kommunalrecht-in-bayern
⁵ Winkler, Wilhelm: Die bayerischen Gemeinde- und Landkreiswappen. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Bd. 18 (1955), S. 359-390. Grundlegender wissenschaftlicher Aufsatz, der die Prinzipien der Wappenverleihung nach 1945 als Reaktion auf die NS-Zeit darlegt.
Link zum digitalisierten Aufsatz:
https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00009476?page=380,381